Die Jungs von Kärbholz haben mit „Überdosis Leben“ ein neues Album am Start. Pressure Magazine hat sich mit den Deutschrockern unterhalten und sie zur Entstehung der Platte befragt. Hier lest ihr das komplette Kärbholz Interview.
Alter Falter! Mit der neuen Scheibe „Überdosis Leben“ (Zum Album Review) habt Ihr die Messlatte nochmals gewaltig nach oben geschraubt. Steigen wir doch direkt mit der Produktion der Scheibe ein. Wie lange haben die Arbeiten in Anspruch genommen und was hat die Produktion des neuen Albums diesmal besonders gemacht?
Kärbholz: Vielen herzlichen Dank erst mal für die Blumen. Besonders an dem Album ist, dass wir im Chamäleon Studio in Hamburg mit Eike Freese und Alex Dietz (Heaven Shall Burn) als Produzententeam aufgenommen haben. Sie haben einen wirklich super Job gemacht, hatten direkt ein gutes Gespür für die Ideen und den Sound, den wir uns vorgestellt hatten. Die tatsächlichen Aufnahmen im Studio haben ziemlich genau einen Monat gedauert. Das war ne intensive Zeit. Wenn Du dich drauf einlässt und einen Monat nichts anderes an dich ran lässt als die Musik… da driftest Du in eine Art Paralleluniversum ab. Das hat schon ein paar Tage gebraucht, danach wieder ins reale Leben zurückzukehren.
In den vergangenen Jahren habt Ihr Euch hörbar weiterentwickelt und nie mit dem zufrieden gegeben, wo ihr gerade seid. Wer seid Ihr heute als Musiker und was spornt Euch an?
Kärbholz: Genau dieser Weg, dieses nie ankommen sondern immer weitermachen spornt uns an. Als wir mit der Musik angefangen haben… da waren wir vieles aber keine Musiker. Der Punkt, an dem wir heute stehen ist das Ergebnis eines Lern- und Erkenntnisprozesses. Der Weg war…. Ach ne… ist…. er ist … manchmal steinig und hart, aber wir nehmen viel Gutes für uns dabei mit.
Wir stehen jetzt genau hier mit „Überdosis Leben“ aber wir werden weitergehen. Ich denke, wir wissen, dass wir noch viele Defizite haben und noch viele Pfade ausprobieren können und wollen. Wir sind mit dem, was wir haben sehr zufrieden und sind gespannt auf das, was noch kommt.
Dabei ist klasse, dass wir schon häufig gehört haben, dass man irgendwie unsere „Handschrift“ und unseren Sound raus hören könne. Das ist natürlich super, wenn Dir ein bestimmter Charakter „attestiert“ wird und Du trotzdem probieren und experimentieren darfst und die Leute mit uns diesen Weg auch noch gemeinsam gehen. Das ist ein großes Geschenk und die beste Motivation.
Am 27.01. erscheint das neue Album „Überdosis Leben“. Was wolltet Ihr auf dem Album musikalisch erreichen?
Kärbholz: Nachdem KARMA veröffentlicht wurde, haben wir uns ziemlich schnell wieder ans Songwriting gemacht. Wir haben viel probiert und uns ist dann irgendwann klar geworden, dass wir mit dem kommenden Album nicht nahtlos an Karma anknüpfen können und auch nicht wollen. KARMA ist nach wie vor ein großartiges Album. Es war zu seiner Zeit, mit dem, wie wir uns zu der Zeit gefühlt haben, was wir sagen wollten das zu 100 Prozent richtige Album und wir lieben die Songs nach wie vor.
Irgendwie stellte sich aber bei den neuen Songs ein ganz anderes Gefühl ein. Es war alles ein bisschen rauer, ein bisschen ungezügelter. Dem wollten wir Platz geben und haben dann versucht uns selbst keine musikalischen Grenzen zu setzen und das neue Album völlig losgelöst von allem vorherigen anzugehen und sich entwickeln zu lassen. Natürlich überlegst Du, in welche Richtung Du musikalisch weitergehst. Uns hat dann dabei auch der Gedanke gefallen, nicht die Scheibe zu machen, die vielleicht viele von uns erwarten sondern die Scheibe zu machen, die wiederspiegelt, wie wir gerad so drauf sind, was uns beschäftigt und zum Teil auch wütend macht. Und das sollte man hören können.
Mit „Ich kann es nicht ändern“ ist bereits der erste neue Song erschienen. Weshalb ist Eure Auswahl gerade auf diesen Song gefallen und was drückt er für euch aus?
Kärbholz: Wir haben natürlich einigen Leuten und unseren Familien das Album vorweg vorgespielt. Das mit dem Überraschen hat allen Anschein nach funktioniert und einige sagten, dass sie ICH KANN ES NICHT ÄNDERN für den typischsten Kärbholz-Song des Albums hielten.
Zu dem Zeitpunkt war die Entscheidung bereits gefallen, ihn als erste Single zu veröffentlichen. Vielleicht haben wir uns deshalb intuitiv für ihn entschieden. Intuitiv… das trifft es eigentlich ganz gut. Der Song hat uns beim Songwriting, Proben, bei den Aufnahmen, beim Anhören der fertigen Aufnahmen immer sehr viel Spaß gemacht.
Ich glaube wir dachten wenn er uns viel Spaß macht wird er das anderen auch machen. Er hat einen schönen, melancholischen aber am Ende doch positiven und versöhnlichen Text, eine schöne Melodie… mehr Kalkül gab es da eigentlich nicht.
Zudem habt Ihr offensichtlich ein aufwendiges Video zum Song produziert. Wer hat Euch bei der Produktion unter die Arme gegriffen und was war die Herausforderung beim Videodreh?
Kärbholz: Wir haben auch die Videos mit komplett neuer Crew gemacht. Wir sind dann für das Video nach Oostende in Belgien gefahren. Auf irgendeine Art hat das da einen ganz eigenen Flair. Ich finde das gibt dem Video so einen anderen, ja fast internationalen Look… Du kannst die Umgebung gar nicht richtig verorten. Das gefällt uns gut.
Moritz, der Regisseur sagte als wir dort ankamen, es sei genau das richtige Wetter. Er war froh, bekomme er so genau die Bilder die er brauche… das war ja schön und gut aber was man auf den Bildern nicht sieht: Es hatte permanent angenehme 0 Grad und es regnete und der Wind hat die Kälte in jede verdammte Pore deines Körpers katapultiert. Das war echt ne Probe.
Welche Botschaft steckt hinter dem Titel „Überdosis Leben“ und wie kam die Auswahl der Themen zustande, für die Ihr Euch diesmal entschieden habt?
Kärbholz: Wir haben am Ablauf des Songwritings zu den letzten Platten nichts geändert. Ich komme mit nem Text und einer musikalischen Grundidee in den Proberaum und dann arbeiten wir zusammen daran bis ein fertiger Song steht. Das machen wir ganz oldschool, ohne Computer oder sonstigem Firlefanz, damit wir eben auch auf den Song eingehen können und sich vieles aus dem Bauch heraus entwickelt.
Ich war selbst in einer schwierigen Situation…gerade 30 geworden, was ich richtig scheiße fand. Manch einer wird eine ähnliche Erfahrung gemacht haben, jedenfalls hat mich das doch mehr berührt als ich gedachte habe. Ich habe viel nachgedacht. Über mich und mein Leben. Über meine Vergangenheit, meine Zukunft und über Vergänglichkeit. Ich war, das muss ich rückblickend feststellen, in einer Melancholie gefangen, die ich so vorher nie gespürt habe. Allerdings bin ich daraus stärker wieder hervorgetreten als ich es vorher war.
Textlich ist ÜBERDOSIS LEBEN für mich persönlich dieser Prozess der Selbsterkenntnis und ein Befreiungsschlag. Es war unbedingt nötig, diese Gedanken in Textform zu Papier zu bringen. Das war zu dem Zeitpunkt eher ein Akt der Selbstheilung als konventionelles Songwriting. Ich finde, dass man bei den Songs diese Melancholie hört. Man hört aber auch, und das ist das Wichtigste, diesen Punkt an dem diese Melancholie einem Aufschrei, einem Aufstehen weicht, diesen Moment an dem dir bewusst wird: Alles wird gut. Ich hab das selbst in der Hand und ich bleibe nicht sitzen sondern stehe auf und pack das an.
Der Musiker Hans Söllner sagte vor vielen Jahren einmal „De Dosis macht’s, vastehst! Wennst da a Überdosis Leb’n gibst, vareckst. Und wennst da z’wenig gibst, vareckst a. Du muaßt genau des Mittelmaß da’wischen und dann muaßt as genießen!“ – Wie denkt ihr darüber und was macht das Leben für Euch Lebenswert?
Kärbholz: Ich muss sagen das ist ja ein großartiges Zitat! Das kannte ich gar nicht. Recht hat er. Wobei Du die Überdosis Leben natürlich auch im aller positivsten Sinne sehen kannst. Vielleicht ist es dann dieses Mittelmaß, das er anspricht. Eine Überdosis Leben ist nicht, ohne Rücksicht auf dich selbst oder auf andere und ohne Pause die Sau raus zu lassen.
Es geht nicht darum das unausweichliche, uns alle irgendwann ereilende Ende zu bedauern sondern das Beste aus dem hier und jetzt zu machen. Es geht darum, Positives zu erkennen und an sich heranzulassen, sich selbst seiner Fähigkeit bewusst zu machen, seiner Umwelt nicht hilflos ausgeliefert zu sein sondern sie formen zu können und dass wir selbst oft unserem eigenen Glück im Wege stehen. Man muss nicht ständig in Frage stellen was man tut, vor allem nicht, wenn man es genießt und es einem gut tut. Man muss zulassen, sich fallen zu lassen und den Moment zu genießen. Man muss Zulassen, auch mal einen Fehler zu machen und aus der Erkenntnis, einen gemacht zu haben, was Positives ziehen.
Welche Songs, sind aus Eurer Sicht repräsentativ für das Album und weshalb?
Kärbholz: Das finde ich in diesem Fall tatsächlich schwierig zu beantworten. Hör dir die ersten 3 Songs der Platte an und du wirst wissen ob du Spaß an der Scheibe haben wirst oder nicht. Die Platte fängt meines Erachtens mit einem sehr typischen Kärbholz Sound an und lässt dann für uns neue Elemente durchscheinen, die im weiteren Verlauf des Albums prägend sind … plus natürlich einigen Überraschungen 😉
Mit „Perfekt unperfekt“ liefert ihr meiner Meinung nach DEN Über-Hit des Albums. Um wen handelt es ich bei der Duett-Sängerin und wie kam es zur Idee den Song zu produzieren?
Kärbholz: Das ist die Franzi Kusche. Sie ist Singer/Songwriterin und unsere Gesanglehrerin. Der Text lag schon eine Weile hier in der Schublade und ist für ein Duett geschrieben. Torben und Franzi haben sich den dann bei Proben mal vorgenommen. Als sie uns den dann vorgestellt haben, waren wir alle völlig baff. Sie haben den Text weiterentwickelt und gerade dieses Zwiegespräch geschrieben, in dem sie noch mal voll auf den Punkt bringen, dass es nicht um Perfektion geht sondern gerade um die kleinen Unzulänglichkeiten, die der Andere schätzt. Als wir den dann gemeinsam gespielt haben, war klar, dass wir den genauso mit Franzi aufnehmen wollten.
Der Song „Kind aus Hinterwald“ handelt von Heimat fernab von Trends, Blendern und Oberflächlichkeiten. Was bedeutet „Heimat“ für Euch?
Kärbholz: Heimat ist der Ort, der vornehmlich in unserem Herzen existiert. Er besitzt keine geografische Lage sondern ist der sichere Hafen, mit dem wir ein Gefühl der Verbundenheit verbinden.
Mit dem Text im Song „Evolution umsonst“ trefft Ihr den Nagel auf den Kopf und widmet Euch der Verrohung unserer heutigen Jugend. Welche Ereignisse waren Anlass für den Text und weshalb habt Ihr Euch dazu entschieden den Song am Ende mit so brachial wütend abdriften zu lassen?
Kärbholz: Man muss sich ja nur ein mal durch Facebook oder Youtube klicken. Das gab es schon lange, gipfelt aber gerade z.B. in den Hinrichtungsvideos des IS oder auch mexikanischer Kartelle. Das sind Bilder, die mir einen eiskalten Schauder über den Rücken laufen lassen und mich wirklich beschäftigen. Diese Dimension von Grausamkeit, die sich schleichend in unseren Alttag drängt und Normalität zu werden scheint. Das hat zur Folge, dass sich unser Verhältnis zu Gewalt drastisch verändert. Was vor 10 Jahren schockierte, ist heute fast nicht mehr der Rede wert, da uns immer mehr und immer grausameres geboten wird.
Wir verlieren langsam aber sicher unsere Fähigkeit, Mitgefühl zu entwickeln. Man muss ja nicht mal in Kriegsgebiete schauen um zu sehen welche Folgen das hat. Hier bei uns, auf dem beschaulichen Land…hier wurden in den letzten 2 Monaten 2 Menschen zu Tode geprügelt weil die Täter keinerlei Hemmungen hatten ihrem Gegenüber lebensbedrohlichen Schaden zuzufügen. Das muss man sich mal vorstellen! Wir haben durch das Internet einen permanenten Zugriff auf alles. Wir können einen Völkermord fast in Echtheit auf dem Handy verfolgen und das Schlimmste ist: Es scheint uns immer weniger auszumachen. Das ist eine sehr bedrückende Entwicklung.
Was steht bei Euch als Nächstes an und wie sehen Eure Tourpläne aus?
Kärbholz: Jetzt kommt Überdosis Leben und wir sind unfassbar gespannt, wie es den Leuten gefällt. Wir freuen uns total, die Songs live zu spielen. Ab dem 9.2. gehen wir auf Release-Tour. Wir werden Songs vom neuen Album aber auch natürlich eine musikalische Reise durch unsere älteren Platten spielen. Wir werden einige schöne Festivals dieses Jahr spielen. Und davon ab haben wir tatsächlich schon so einige Pläne darüber hinaus. Ist aber noch viel zu früh darüber zu sprechen. Sicher ist aber, es wird nicht langweilig werden!
Herzlichen Dank für das ausführliche Interview. Was möchtet Ihr Euren Fans mitteilen?
Kärbholz: Wir danken für die Aufmerksamkeit. Leute, kauft Euch die Platte und gebt ne Rückmeldung. Kommt uns auf Tour besuchen, bleibt sauber, legt ab und an mal das Handy auf Seite und widmet euch dem richtigen Leben da draußen.
Interview von Marcus Liprecht im Januar 2017 für Pressure Magazine
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Alle Termine der Album-Release-Tour 2017:
09.02.17 Frankfurt – Batschkapp
10.02.17 Nürnberg – Hirsch
11.02.17 München – Backstage
12.02.17 Köln – Palladium
15.02.17 Bremen – Aladin
16.02.17 Hamburg – Docks
17.02.17 Leipzig – Hellraiser
18.02.17 Erfurt – Stadtgarten
19.02.17 Berlin – Huxleys Neue Welt
06.04.17 Ludwigsburg – Rockfabrik
07.04.17 Bern – Kulturhof
08.04.17 Zürich – Dynamo
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Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Kärbholz. Foto Copyright: Moritz Maibaum